"Das Bilden des Künstlers sollte Träumen genannt werden, statt Arbeiten. Die Liebe wird auch eher Traum genannt als Arbeit."
Hans Arp
Das Wort «Amateur» hat im Zusammenhang mit Kunst keinen sehr guten Klang. Eigentlich zu unrecht. Wie lautet doch die Wikipedia-Definition? «Ein Amateur (französisch, von lateinisch amator „Liebhaber“) ist eine Person, die – im Gegensatz zum Profi – eine Tätigkeit aus Liebhaberei ausübt, ohne einen Beruf daraus zu machen bzw. Geld für seine Leistung zu erhalten. Ein Amateur ist ein Laie (griechisch. λαός laós „Volk“ über λαϊκός laikós „zum Volk gehörig“ und kirchenlateinisch laicus „der (kirchliche) Laie“) und für seine Tätigkeit nicht formal ausgebildet, im Unterschied zum Fachmann („dem im Fachgebiet ausgebildeten“). Der Begriff sagt wenig über die Sachkenntnis von Amateuren aus, die durchaus professionelles Niveau haben kann.»
Hansjürg Seewers künstlerisches Schaffen könnte Anlass geben, die Wikipedia-Definition zu variieren. «Ein Amateur (von lateinisch amare) ist eine Person, die eine Tätigkeit aus uneigennütziger Liebe zur Sache ausübt. In Gegensatz zum professionell Tätigen stehen Ambitionen wie finanzieller Erfolg, gesellschaftliches Ansehen im Hintergrund.»
Nach seinem Studium als Elektroingenieur HTL in Burgdorf war Hansjürg Seewer bis zur Pensionierung und dem Verkauf seines Unternehmens in der Welt des Praktischen, pragmatisch Nützlichen tätig. Er hat immer davon geträumt, künstlerisch zu schaffen, aber konnte diesen Traum lange Zeit nur sporadisch verwirklichen. Nun ist die Skulptur sein eigentlicher Lebensinhalt geworden. Es vergeht kaum ein Tag, an dem er nicht in seinen Werkräumen arbeitet.
Wichtig zu wissen: Im dritten Lebensalter will Hansjürg Seewer keine zweite Karriere machen. Anerkennung als Künstler sucht er nicht. Er versteht sich als Amateur, der aus Liebe zur gestalterischen Arbeit gestaltet – und das mit grösster Leidenschaft, und nicht minderer Bescheidenheit.
Seit 2005, seit er sich im Ruhestand-Unruhestand befindet, sind rund zwei Dutzend – zum Teil monumentalformatige – Plastiken entstanden. Wenn zum Vergleich, zur Charakterisierung ein Name aus der Kunstgeschichte genannt werden müsste, dann könnte man Henry Moore oder Hans Arp erwähnen (wobei Hansjürg Seewer diese Meister nie kopiert hat). Während heute die meisten professionellen Kunstschaffenden der Innovation eine ungeheure Bedeutung zumessen, durch alle Böden hindurch etwas noch nie Gesehenes schaffen wollen, sieht sich Hansjürg Seewer in der Gefolgschaft der Tradition der unterdessen hundertjährigen ungegenständlichen Skulptur. Um als Unternehmer konkurrenzfähig zu sein, musste er sein Angebot ständig verbessern, modernisieren. Als Gestaltender hat er sich diesem Druck entzogen und schafft Formen, die ihm schlicht und einfach gefallen, unbekümmert darum, ob Ähnliches bereits einmal entstanden ist. Ein Amateur kennt keinen Konkurrenzdruck.
In der modernen Skulptur kann man vereinfachend zwei Haupttypen unterscheiden: die Volumenplastik und die Raumplastik. Als Volumenplastik versteht man eine kompakte Form; als Raumplastik ein Gebilde, das dem Zwischen- oder Hohlraum mindestens so viel – oder mehr – Bedeutung gibt als dem Materialisierten. Während die Volumenplastik erdorientiert ist, ordnet sich der Raumplastik dem Element Luft zu. Die Arbeiten Hansjürg Seewers sind fast ausnahmslos Raumplastiken. Eine Volumenplastik ist in sich selbst stabil. Ein Raumplastiker hingegen steht vor dem ikaridischen Problem, dass Luft nicht sonderlich tragfähig ist. Wer ein graziles und gleichzeitig robustes Gebilde wie die blaue Plastik (2010 entstanden, Titelbild) schaffen will, muss sorgfältigste gedankliche und handwerkliche Vorarbeiten erledigen, u.a. eine adäquate Metallkonstruktion schweissen, die später mit Gips ummantelt wird. Der Weg zu dynamischen, schwerelos wirkenden Formen ist lang. Die schwerelose Leichtigkeit des Resultats lässt vergessen, dass Hunderte, manchmal Tausende Arbeitsstunden nötig waren.
Das Tüftlerische, das Hansjürg Seewer in seiner ersten Laufbahn als Unternehmer zu gute kam, hilft ihm auch bei Umsetzen seiner Bildideen. Was er heute zustande bringt, konnte und wollte er in keinen Kursen erlernen. Der Autodidakt arbeitet heute mit konventionellen Materialien wie Stein, Gips und Holz, aber er verwendet auch Materialien, die in der Kunst unüblich sind wie MDF-Platten, den Verbundwerkstoff Corian oder das Dämmmaterial Swisspor.
Hans Arp schrieb: «Der Inhalt einer Plastik muss auf Zehenspitzen, ohne Anmassung auftreten, leicht wie die Spur eines Tieres im Schnee. Die Kunst soll sich in der Natur verlieren. Sie soll sogar mit Natur verwechselt werden. Nur darf dies nicht durch Nachahmung erreicht werden wollen.» Der Natur nah – ohne sie nachzuahmen. Das trifft auch auf die Plastiken von Hansjürg Seewer zu.
Peter Killer
Leiter des Kunstmuseums Olten 1983–2001